John Cage: Maoist und Vorläufer der Woke-Bewegung

Der amerikanische Komponist John Cage (1912-1992) hatte über Jahrzehnte einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der Künste und der Kultur in den westlichen Ländern. Er war ein Vorbild für unzählige Künstler und ist bis heute ein Idol der sogenannten Kulturindustrie.

Leider war sein Einfluss äußerst negativ, denn er war ein Ideologe und Propagandist, der sich geschickt hinter einer anarchistisch-libertären Fassade versteckte. Er war ein Anhänger des kommunistischen Diktators Mao Tse-tun und wollte eine etwas „weichere“ Variante des maoistischen Systems in den USA und allen westlichen Ländern durchsetzen. Cage hat gleichzeitig wesentliche Elemente der Woke-Agenda vorweggenommen und muss daher auch als Vorläufer der Woke-Ideologie bezeichnet werden.

In diesem Beitrag fasse ich die Ausführungen, die ich an verschiedenen Stellen meines Buches „Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus“1 zu diesem Thema vorgelegt habe, stark zusammen. (Alle hier angeführten Zitate stammen ebenfalls aus meinem Buch.) Dieser Text ist jedoch völlig neu formuliert, die Inhalte sind anders verknüpft als im Buch und er enthält auch neue Elemente. Er ist als eigenständiger Beitrag zu betrachten. Wer jedoch viel, viel mehr über die hier dargestellten Aspekte erfahren möchte, kann dies in meinem Buch tun.

1) Cage wollte den Kommunismus Maos in den USA einführen

Cage wollte die USA und die gesamte westliche Gesellschaft radikal verändern. In diesem Sinn erklärte er: „Die Revolution bleibt unser eigentliches Anliegen.“2 Die Ideologie, die er durchsetzen wollte war ein zum Teil veränderter Maoismus. Cage schrieb, dass er im Jahr 1972 „ein methodisches Studium der Schriften Mao-Tse-tungs“3 begonnen hatte. Ein anderes mal ließ er die Öffentlichkeit wissen, dass er die kommunistische Diktatur Maos bewunderte:

Mich interessieren die Ideen von Mao-Tse Tung immer mehr. Das Maoistische Modell ermöglichte die Befreiung eines Viertels der Menschheit (The Maoist Model managed to free a quarter of humanity); das gibt zu denken. Heute würde ich ohne Zögern sagen, dass der Maoismus momentan den besten Anlass zum Optimismus gibt. Wir müssen seine Lehre mit der größten Aufmerksamkeit begrüßen.4

Cage wollte das kollektivistische „Maoistische Modell“ weltweit durchsetzen/einführen:

china war erst der beginn
wenn sie mich fragen
ich möchte den langen rückzug (die lange retraite)
verlängern, so, dass er den rest der welt erfasst.5

Die „Lange Retraite“ oder der „Lange Rückzug“, von dem Cage in diesen Zeilen spricht, ist eine weniger bekannte Bezeichnung für den „Langen Marsch“. So wurde nämlich der strategische Rückzug der Streitkräfte der Kommunistischen Partei Chinas vor der antikommunistischen Armee Chiang Kai-sheks in den Jahren 1934-35 genannt. Für die Kommunisten war es eine Zeit der Reorganisation und der Erneuerung ihrer Kräfte. Der Lange Marsch war „der entscheidende Faktor“ für Maos endgültigen Sieg und für die Einführung des Kommunismus in China im Jahr 1949 und „ist bis heute ein zentraler Heldenmythos der Kommunistischen Partei Chinas“6 geblieben.

Cage erhoffte sich eine ähnliche strategische Wende in den USA und in den westlichen Ländern, wie sie der Lange Marsch den Kommunisten Maos beschert hatte. Auch die revolutionären Kräfte im Westen sollten ihren „Langen Marsch“ bekommen, so, dass auch sie den Sieg des Maoismus im gesamten Westen durchsetzen konnten. Cage war somit keineswegs ein Verteidiger der Freiheit und der Individualität, wie er in der Regel fälschlicherweise wahrgenommen wird, denn der Maoismus war eine gnadenlose kollektivistische Diktatur.

2) Cages neomarxistische revolutionäre Strategie

Cage war sich jedoch bewusst, dass eine militärisch geführte Revolution in den USA — mit oder ohne „Langem Marsch“ — nicht wie in China möglich war, denn die überwältigende Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung wollte gar keine Revolution. 1972 schrieb er: „… als die russische Revolution stattfand, erfolgte sie ausgehend von den Arbeitern, (on the basis of the worker) und die chinesische Revolution erfolgte ausgehend von den Bauern. Die Frage ist, wo die amerikanische Revolution stattfinden wird.“7

Cages Frage kann auch so formuliert werden: welche gesellschaftliche Schicht sollte in den USA die Revolution anstelle der „Arbeiter“ und der „Bauern“ beginnen oder führen? Seine Antwort war eindeutig: „hoffentlich werden es die Studenten sein.“8

Aber nicht nur die Gruppe der Revolutionäre musste eine andere sein als im klassischen Marxismus. Auch die marxistische Ideologie selbst musste für die Situation in den USA angepasst und kompatibel gemacht werden. Denn laut Cage war die Revolution Maos „sicherlich […] vor allen Dingen eine chinesische Bewegung, die wir [die Amerikaner] nicht, so wie sie ist, importieren können; und wir müssen vermeiden, sie scholastisch anzuwenden“.9

Die nicht „scholastische“ Lösung des Problems, war laut Cage folgende: Die „chinesische Bewegung“ und ihre maoistische revolutionäre Ideologie sollte mit amerikanischen Anteilen kombiniert werden. (Übrigens: Scholastisch ist — wenn es wie hier verwendet wird — ein Begriff, der direkt aus dem stalinistischen Jargon stammt.) Anfang der 1980er Jahre formulierte Cage hinsichtlich dieser erwünschten Anreicherung des Maoismus folgenden Vorschlag: „Ich bin (…) überzeugt, dass wir künftig etwas erreichen würden, das uns eine wirkliche Lösung böte, wenn wir imstande wären, diese Lehre [Maos] mit Thoreaus Anarchismus und [Buckminster] Fullers „Apolitizismus“ zu verbinden.“10

Cage bewunderte den amerikanische Architekt und Schriftsteller Buckminster Fuller (1895-1983) und glaubte, dass dieser „einen absolut elementaren und fundamentalen Gedanken zum Überleben der menschlichen Rasse“11 geliefert hätte. Cage wünschte sich also die kommunistische Revolutionsstrategie mit dem amerikanisch getönten Anarchismus Fullers zu kombinieren. In diesem Sinn schrieb er 1978:

Was ich gerne sehen möchte, ist eine Entsprechung zwischen den Projekten von Buckminster Fuller und den Errungenschaften der Volksrepublik China. Es würde mich freuen, zu sehen, dass sie sich nicht unterscheiden.12

Cage war sich bewusst, dass diese „Verbindung“ nur möglich war, wenn es einen „gemeinsamen Nenner“13 zwischen diesen beiden „Lehren“ gab. Und einen solchen gemeinsamen Nenner gab es in der Tat. Er ist leicht zu erkennen, wenn man etwas vertraut ist mit Fullers Schriften.

Fullers „Lehre“, die Cage „Apolitizismus“ nannte, war keine aufklärerische Freiheitslehre, sondern ein hedonistischer, verantwortungsloser und asozialer Individualismus, der eine Gesellschaft postulierte, deren Mitglieder eine unpolitische, verwaltete Menschenmasse bilden sollten. Dieses Gesellschaftsmodell darf als totalitär bezeichnet werden.

Da es an dieser Stelle nicht möglich ist, näher auf Fullers Ideen einzugehen, sei als Beleg für diese Behauptung angeführt, dass der Musikpublizist Richard Kostelanetz (ein „Linker“ und Cage-Verehrer) zu Recht bemerkte, Cage sei nicht bereit gewesen, „die totalitären Tendenzen in Buckminster Fullers Denken anzuerkennen“14. Und genau diese „totalitären Tendenzen“ sind der gemeinsame Nenner, der es erlaubt, „Mao“ und „Fuller“ zu kombinieren.

Diese Kombination der kommunistisch-kollektivistischen mit der anarchistisch-kollektivistischen Ideologie (Mao und Fuller) war also laut Cage der Weg, um die maoistische Revolution in den USA populär zu machen und sie „importieren“ zu können. Auch sollte die Revolution dadurch weniger gewaltvoll, oder sogar gewaltfrei werden. Hier die entsprechende Aussage Cages von 1976:

Es wäre gut, wenn wir unsere Veränderungen gewaltfrei durchführen könnten. (…) Wir dürfen nicht glauben, dass Veränderung nur durch Morden realisiert werden kann, denn man kann auch verändern, indem man etwas schafft.15

(It would be good if we could make our changes nonviolently. (…) We mustn‘t believe that you can only change by killing because you can also change by creating)

3) Cages Instrumentalisierung seiner Kunst als Propagandamittel

Zu den gewaltfreien Mitteln, die den Umsturz in der westlichen liberalen Welt vorbereiten sollten, gehörte laut Cage auch die Kunst. Richard Kostelanetz unterstrich, dass Cage ein jedes seiner Kunstwerke als ästhetische Darstellung des von ihm erwünschten Gesellschafts-Modells wirken sollte: „… in der Form seiner Kunst, in der Art ihrer Darbietung/Aufführung (the form of performance), wird ein ideales Gemeinwesen dargestellt (is a representation of an ideal polity)“16.

Und Cage selbst schrieb 1973, dass er „kein Stück schreibe“ (also keine Komposition komponiere), „wenn es nicht als Beispiel/Modell für die Gesellschaft (as an instance of society) nützlich ist“. Er „habe versucht, Beispiele/Modelle für gesellschaftliche Verbesserungen (improvements) zu liefern.“17 Das „Modell“, das Cage meint, ist natürlich die vorhin beschriebene Kombination von Maoismus und kollektivistischem Anarchismus. Cage dazu:

Ich dachte mir: Wenn ein Musiker öffentlich das Beispiel gibt, das Unmögliche zu schaffen, dann wird es vielleicht jemanden, der von dieser Darbietung betroffen ist, dazu inspirieren, die Welt zu verändern, zu verbessern etwa in Richtung auf die konkreten Vorschläge von Buckminster Fuller.18

Ebenfalls von Cage erfahren wir, dass Kunst für ihn (hauptsächlich) ein Mittel der mentalen Beeinflussung sei: „Kunst dient keinem materiellen Zweck. Sie ist dazu da, Köpfe und Geister zu verändern.“19 Die Richtung der Veränderung ist klar: Akzeptanz des hier beschriebenen politischen „Modells“. (Dazu mehr in meinem erwähnten Buch.)

4) Die geplante Veränderung der „gesamten gesellschaftlichen Struktur“

Cage hatte — wie gesagt — klar und deutlich erklärt: „Die Revolution bleibt unser eigentliches Anliegen.“20 Mit dem Sieg der Revolution sollte in den USA und in den westlichen Ländern wirklich alles radikal verändert werden. Dies machte er 1970 klar:

Die gesamte gesellschaftliche Struktur muss sich ändern, so wie sich auch die Strukturen in der Kunst geändert haben. Wir sind der Meinung, (…), dass dies (…) in [allen] Bereichen der Gesellschaft geschehen muss, insbesondere im Hinblick auf die politischen und wirtschaftlichen Strukturen und alles, was mit diesen zusammenhängt, wie z. B. das Erziehungssystem.21

Cage erklärte 1961, dass die Veränderungen nicht nur tiefgreifend sein sollten, sondern auch so schnell wie möglich erfolgen mussten: „…wir befinden uns in einer sehr dringlichen Situation, in der wir unbedingt einen grundlegenden Sinneswandel vollziehen müssen.“22

Für die drei genannten „Bereiche der Gesellschaft“ bzw. des Staates (Politik, Wirtschaft, Erziehung) hat Cage im Laufe der Jahrzehnte zahlreiche Veränderungsvorschläge gemacht. Wir erwähnen hier nur diejenigen, die das Bildungssystem und die die Bildung selbst betreffen und die die heutige Woke-Strategie der Zerstörung von Bildung, Kompetenz und Kultur im Allgemeinen vorwegnehmen. (Für die beiden anderen Bereiche — Politik und Wirtschaft — verweise ich nochmals auf mein erwähntes Buch).

5) Cages Ziel: die „Entschulung der Gesellschaft“

Kenneth Silverman schreibt in seiner Cage-Biographie, dass dieser „das gesamte Bildungssystem für unrettbar erklärte“ und dass es „abgeschafft werden sollte“23. Von Cage selbst wissen wir, dass er für dieses destruktive Vorhaben der „Abschaffung“ Anregungen von zwei Experten auf diesem Gebiet erhielt. Er erklärte 1969, dass „die Ideen über die Universität, die [ihm] am interessantesten erschienen, (…) die von Ivan Illich und Buckminster Fuller“24 waren.

Von Fuller stammte laut Cage die „Idee“, dass „sowohl die Universität als auch die Gesellschaft so zu verändern [sei], dass niemand jemals einen Abschluss macht“25. (Fuller speaks of changing both the university and society so that no one ever graduates.) Und von Ivan Illich — einem marxistisch orientierten Befreiungstheologen und Buchautor — übernahm Cage den Namen für dieses Programm der Abschaffung von Bildung. Es sollte „Entschulung der Gesellschaft26 heißen. Es ist klar, dass diese „Entschulung“ zur Destabilisierung der westlichen, meritokratischen Gesellschaft beitragen sollte, mit dem Endziel, den Boden für die Revolution vorzubereiten.

Eines der wichtigsten Prinzipien des „Entschulungsprogramms“ war es, den Studenten an den Universitäten ganz einfach nichts mehr beizubringen. Cage machte diese Regel zu seiner Leitmaxime und erklärte 1970: „…wir brauchen zunächst einmal eine neue Situation, in der nichts vermittelt/gelehrt wird: Niemand wird etwas lernen, was schon vorher bekannt war.“27 Ein anderes Mal präzisierte er diese Aussage: „Ich sehe nicht ein, warum ein Professor seinen Studenten das lehren sollte, was er schon weiss oder was er schon kann.“28

Dadurch, dass den Studenten in den Schulen und Unis ganz einfach gar nichts mehr beigebracht werden sollte, sollte sowohl Kompetenzbildung verhindert werden, als auch die Aneignung des kulturellen Erbes. 1972 erklärte Cage, dass, „diese Vorstellung von Lehrplänen (curriculum) und Vorgehensweisen wie das Lesen desselben Standardtextes“ (the same standard text) sinnlos sei. Sowohl „Lehrpläne“, als auch „Standardtexte“29 seien abzuschaffen.

John Cage als Pädagoge - Zeichnung von Tom Sora
Der Komponist und Universitätsdozent Cage äußert sich zum Musikunterricht… (Bild: Tom Sora)

Und der Musiker Cage betrachtete die Musikerziehung für Kinder als „eine Form von sozia lem Wahnsinns“30 und wollte diesen Musikunterricht (inklusive Notenlesen und Klavierspiel) völlig abschaffen. 1965 erklärte er, dass: „die konventionelle Musikerziehung etwas ist, das jeden (…) nur wütend machen kann. Egal, an welchen Aspekt man denkt, man wird fast sofort wütend. Die Idee, dass man ein kleines Kind vor ein Klavier setzt und ihm das Notenlesen beibringt (…) ist lächerlich.“31

6) Cage als Praktiker der „Entschulung“

Cage hat als Universitätsdozent öfters verschiedene Maßnahmen des „Entschulungs“-Programms umgesetzt. Zum Beispiel hat er 1972 seinen Studenten ankündigt, dass er selber den Inhalt oder das Thema seiner eigenen Vorlesung gar nicht kenne: „Ich erklärte ihnen meinen Standpunkt in unserem ersten Gespräch. Dazu gehörte auch die Tatsache, dass wir nicht wussten, was wir studieren.“32

Im Einklang damit hat der Universitätsdozent Cage seinen Studenten auch nicht mitgeteilt, worauf sie sich eigentlich im folgenden Semester vorzubereiten hatten:

Wir unterwarfen die Universitätsbibliotheken den Zufallsoperationen, und … – wir waren ungefähr einhundert – … jede Person [hatte] zwei Zufallsoperationen, um die Werke zu ermitteln, die er zu lesen hatte. Als nächstes teilten wir uns – immer noch durch Zufallsoperationen – in flexible Gruppen. Jede Gruppe sollte … über das, was gelesen werden sollte, Informationen [mit den anderen Gruppen, TS] austauschen.33

Eine der Methoden, um eine solche Anti-lern-„Situation“ zu ermöglichen, nannte Cage „Kreuzbefruchtung“. Sie bestand darin, dass „…jeder Kursus von einem ausserhalb der betreffenden Disziplin stehenden Professor gehalten werden“ sollte. Der eingesetzte Professor sollte laut Cage somit „für dieses Fach nicht zuständig“ sein. Zum Beispiel sollte „ein Wissenschaftler (…) gebeten [werden], zu Musikern zu sprechen. Das könnte“ — so Cage— „viel bessere Resultate ergeben, als wenn man [die Musiker] den Händen eines anderen Musikers anvertrauen“ würde. Solche „Kreuzbefruchtungen“ sollten „bald zur allgemeinen Praxis“ werden, „selbst in den akademischen Kreisen“34.

Um diese Vermischung von Lerninhalten und Unterrichtsfächern und das so entstandene Chaos noch systematischer zu gestalten, sollten laut Cage auch „die Wände zwischen den verschiedenen [Unterrichts]-Räumen eingerissen“ werden. Er begründete diese Maßnahme 1981 so: „…wenn man (…) Musik studiert“, sollte man „ein wenig von der Klasse nebenan mithören, (…) die sich vielleicht mit einem anderen Fach beschäftigt, zum Beispiel Elektrotechnik“. Dadurch würden „Verbindungen hergestellt“, die „sehr erfrischend sein können“.35 An anderer Stelle variierte er diese Idee: Die Gebäude, in denen unterrichtet wird, „sollten innen nicht unterteilt sein, damit man jedes [Unterrichts-]Fach gleichzeitig im selben Raum unterrichten kann.“36

Sein Fazit: „…es gäbe dafür keine Klassenräume oder Konzertsäle mehr!“37 (Ja, auch die Konzertsäle wollte der Komponist Cage abschaffen!) 1970 erklärte Cage den tieferen Sinn der Abschaffung der Trennwände: „Alles, was einer Unterbrechung, einer Ablenkung ähnelt, sollte willkommen sein.“38

Zusätzlich zur „Kreuzbefruchtung“ und zur zur Abschaffung der Klassenräume sollten auch die Unterschiede39 zwischen Studenten und Dozenten abgeschafft werden. Als Dozent an der University of California teilte Cage den Studenten mit, dass sie alle — er inklusive — „nicht wüssten, was [sie] studieren würden, und dass [sie sich] nicht in Studenten und Nicht-Studenten aufteilen würden“. Seine Begründung lautete: „wir alle, mich einbegriffen, [sind] Studenten“.40

Ein anderes mal (1969) schrieb er dazu folgendes: „Man will die Unterscheidung zwischen Lehrern und Schülern aufgeben und einfach die Vorstellung einer Gesellschaft entwickeln, in der es junge Menschen und ältere Menschen, unerfahrene Menschen und erfahrene (experienced) Menschen gibt, die alle bereit sind, sich gegenseitig zu helfen. Dann bleibt immer weniger Zeit für Dummheiten wie das Bewerten [der Leistungen der Studenten].“41

Passend zu dieser kollektivistischen Gleichmacherei und zur Forderung, das „Bewerten“ zu unterlassen, hat Cage als Dozent die Benotung der Studenten de facto abgeschafft. Er berichtete 1972, dass er an der Universität zuallererst „ankündigte, dass jeder in der Klasse eine Eins bekommen werde“, weil er (Cage) „gegen die Benotung in den Schulen“42 sei. Interessant ist auch seine anschließende Schilderung der Folgen seiner Aktion:

Nun, als sich diese Nachricht auf dem Campus herumsprach, stieg die Größe der Klasse auf 120 Leute, und alle wollten eine Eins haben. Allmählich pendelte sie sich auf etwa 80 Leute ein, die ständig in die Klasse kamen. Aber auch diejenigen, die nur deswegen kamen, um sich anzumelden, bekamen eine Eins.43

Ganz im Sinne der Abschaffung der „Bewertung“ der studentischen Lernleistungen lautete seine Forderung 1969 lapidar: „Nun, ich würde sagen: Schafft die Prüfungen ab“.44

7) Das Hervorragende unterdrücken

Es ist weder ein Zeichen von Nächstenliebe noch von Humanität, die „Bewertung“ von Leistungen und die damit verbundenen Prüfungen als „Dummheiten“ zu bezeichnen, sondern Ausdruck einer zutiefst kollektivistischen Mentalität. Hinter dieser vermeintlich entspannten Toleranz und lässigen Nachsicht Cages verbirgt sich das tiefe Nivellierungsbedürfnis derer, die sich dem Wettbewerb nicht stellen wollen und deshalb versuchen, ihn auszuschalten.

Cage wollte, wie die heutigen Woke-Ideologen und -Aktivisten, nicht nur die fachliche Kompetenz vernichten, er wollte auch die entsprechenden Begriffe, die Potenz oder Exzellenz bezeichnen, tabuisieren und wie ein Sprachpolizist aus der Sprache „entfernen“, damit nicht einmal mehr gesagt werden kann, dass Menschen auch im Bereich der Werte miteinander konkurrieren. Cage, der ein Vorreiter der heutigen Woke-Bewegung war, erklärte 1976 folgendes:

Ich denke, wir sollten unsere Sprache durchgehen und alle Wörter entfernen (remove), die mit Macht zu tun haben (words having to do with power). Ich mag die Worte [der, die, das] „größte“ (the greatest) oder „Stärke/Kraft“ (strength) nicht.45

Dieser Versuch der Gleichschaltung ist eine der Triebfedern und eines der Merkmale der linken „Pädagogik“. Wenn die Missachtung der Kompetenzhierarchie und der wirklichen Leistungshierarchie zum allgemeinen Prinzip erhoben wird, bricht das Bildungssystem logischerweise zusammen— und damit auch die gesamte (zivilisierte) Gesellschaft.

Um das Scheitern der Woke-Agenda und der Woke-Pädagogik (siehe dazu meinen vorigen Beitrag) mitsamt ihrer „cancel culture“, ihrer so genannten positiven Diskriminierung (die nichts anderes ist als die direkte Diskriminierung der Fleißigen und Intelligenten) und ihrer Abschaffung des Leistungsprinzips zu beschleunigen, ist es unter anderen notwendig, ihre berühmten Vorreiter vorzuführen.

Figuren wie John Cage — über dessen Musik und Kunstaktivismus hier fast nicht die Rede war — müssen definitiv von ihrem Sockel gerissen werden und als das präsentiert und entlarvt werden, was sie wirklich waren: Nämlich dumme und gefährliche Scharlatane.


  1. Tom Sora, Linke Intellektuelle im Dienst des Totalitarismus. Wie die Kunstavantgarde den Weg für die Woke-Bewegung bereitete – das Beispiel John Cage, Mainz, 2024. ↩︎
  2. John Cage, Empty Words. Writings ‘73-’78 by John Cage, Middletown, Connecticut, S. 182. (Sora, S. 126) ↩︎
  3. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 294 (Sora, S. 133) ↩︎
  4. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 126 (Sora, S. 133) ↩︎
  5. John Cage, Empty Mind, Deutsch von Klaus Reichert, Berlin, 2012, S. 89 (Sora, S. 135) ↩︎
  6. siehe dazu: Wikipedia ↩︎
  7. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 273 (Sora, S. 161-62) ↩︎
  8. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 273 (Sora, S. 161-62) ↩︎
  9. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 126 (Sora, S. 134) ↩︎
  10. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 126 (Sora, S. 134) ↩︎
  11. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S 126 (Sora, S. 185) ↩︎
  12. Text Cages ohne Titel, in Musik-Konzepte, Die Reihe über Komponisten, Sonderband John Cage, April 1978, S. 27 (Sora, S. 186) ↩︎
  13. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, 267 (Sora, S. 186) ↩︎
  14. Kostelanetz, Richard: John Cage: An Anthology, New York, 1991, S. 206 (Sora, S. 185) ↩︎
  15. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 263 (Sora, S. 182) ↩︎
  16. Richard Kostelanetz, John Cage explained, New York, 1996, S. 41 (Sora, S. 311) ↩︎
  17. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 258 (Sora, S. 128) ↩︎
  18. Stefan Schädler, Walter Zimmermann (Hrgb.), John Cage, Anarchic Harmony, Schott, 1992, S. 279-280 ↩︎
  19. John Cage, Empty Words. Writings ‘73-’78 by John Cage, Middletown, Connecticut, First Edition, S. 187 ↩︎
  20. John Cage, Empty Words. Writings ‘73-’78 by John Cage, Middletown, Connecticut, S. 182. (Sora, S. 126) ↩︎
  21. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 240-241 (Sora, S. 129) ↩︎
  22. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 221 (Sora, S. 129) ↩︎
  23. Kenneth Silverman, Begin Again. A Biographie of John Cage, New York, 2010, S. 217 (Sora, S. 250) ↩︎
  24. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 244 (Sora, S. 251) ↩︎
  25. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 244 (Sora, S. 251) ↩︎
  26. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 244 (Sora, S. 251) ↩︎
  27. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 241 ↩︎
  28. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 260 ↩︎
  29. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 252 ↩︎
  30. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 240 ↩︎
  31. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 240 ↩︎
  32. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, Seite 251-252, oder auch Musik-Konzepte, S. 19 ↩︎
  33. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 98-99 ↩︎
  34. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 282-283 ↩︎
  35. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 247 ↩︎
  36. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 259-260 ↩︎
  37. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 259-260 ↩︎
  38. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 246 ↩︎
  39. Die klassischen marxistisch-leninistischen Parolen, die hier Pate gestanden sind, lauteten „Abschaffung des Unterschiedes zwischen Stadt und Land“, sowie zwischen „Werktätigen und Intellektuellen“. ↩︎
  40. John Cage, Für die Vögel. Gespräche mit Daniel Charles, Berlin, 1984, S. 98-99 ↩︎
  41. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 247-248 ↩︎
  42. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, Seite 251-252, oder auch Musik-Konzepte, S. 19 ↩︎
  43. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, Seite 251-252, oder auch Musik-Konzepte, S. 19 ↩︎
  44. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 247-248 ↩︎
  45. Richard Kostelanetz, Conversing with Cage, New York, 1988, S. 262 ↩︎

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